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  • Amenorrhö & Hormonbalance / Authentizität & Selbstliebe

    Über Social Media, Frauen Power und Gebärmutter-Gespräche – Angélique Poulain

    Interview Yoga Amenorrhö

    Ein regnerischer Sonntag in Berlin Mitte. Angélique und ich sinken bei Soja-Milchkaffee, heißer Schokolade und Zitronenkuchen noch tiefer in unsere Samtsessel – beide noch wohlig entspannt von ihrer Yoga Basic Stunde im Chimosa, die wie auch sonst bis auf die letzte Matte ausgebucht war. Heute standen kräftigende Stand- und Balancepositionen auf dem Programm mit dem Fokus auf die Achtsamkeit in deren Ausführung. „Eigentlich kommen gar keine Anfänger mehr in den Kurs,“ verrät sie mir. „Selbst erfahrenere Yogis schätzen, dass ich nochmal genau auf die einzelnen Asanas (=Yoga-Haltung) eingehe und deren Wirkungsweise und korrekte Ausführung erkläre. Bei vielen anderen Kursen kommt das meist zu kurz.“ Da kann ich ihr nur zustimmen, ich war selbst auch überrascht, wieviel man noch bei Asanas entdecken kann wie dem Krieger I, die man eigentlich schon seit Jahren kennt und ausübt.

    Social Media und Yoga

    „Mehr Schein als Sein“, Oberflächlichkeit, Kurzlebigkeit, Ergebnisse ohne die Bereitschaft für etwas zu arbeiten – schnell sind wir beim Thema Social Media angelangt. Wir beide sind uns einig, dass Netzwerke wie Instagram wahnsinnig inspirierend und toll zum Austauschen sein können, aber gleichzeitig auch gefährlich, indem sie Neid und Selbstzweifel schüren. Mehr zum Thema Stress und Social Media findest du hier:

    Always-on = Always Stress? (inkl. 10 Tipps zum Entschleunigen)

    Denn auch wenn man weiß, dass man sich eigentlich mit kreierten Bildern von Menschen vergleicht, die nur einen bestimmten inszenierten Teil ihres Lebens präsentieren, so kann es seinem Ego doch einen Stich versetzen und man fragt sich: „Bin ich gut genug?“. Angéliques Einstellung dazu:

    Statt auf jemanden neidisch zu sein versuche ich das ins Positive zu drehen und sage lieber „Hey, voll interessant, wusste ich gar nicht, dass es das gibt!“ oder „Freut mich für dich!“ – und belasse es dabei. Oder noch besser: ich ziehe Inspiration daraus.

    Wie sie die Entwicklung der Präsentation von Yoga auf Instagram wahrnimmt, möchte ich wissen.

    Angélique: Ich folge einigen Yoga Seiten als Inspiration und zur Bereicherung meiner Praxis. Da freue ich mich, wenn ich zum Beispiel ein Asana entdecke, das ich schon länger nicht mehr gemacht habe. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch viele Accounts von Menschen, die sich mit Hilfe von Yoga-Posen unglaublich sexuell darstellen. Da frage ich mich, was das Ziel ist: Willst du Menschen inspirieren, oder geht es dir nur um die Zahl deiner Follower? Letzteres widerspricht dem eigentlich Prinzip von Yoga, denn bei Yoga geht es nicht darum wie du aussiehst, wieviel Haut du zeigst oder was du kannst. Du machst Yoga für dich, für niemanden sonst. Wenn dem nicht so ist, dann machst du es falsch.

    Bei Yoga geht es nicht darum wie du aussiehst, wieviel Haut du zeigst oder was du kannst. Du machst Yoga für dich, für niemanden sonst.

    In den letzten Jahren ist Yoga immer mehr zu einem Trendsport geworden, so wie Zumba oder Pole Dance. Es ist toll, dass immer mehr Menschen Zugang zu Yoga finden, aber leider wird bei uns in der westlichen Welt meist nur ein kleiner Teil der Yoga Philosophie vermittelt. Dadurch entwickelt sich das Ganze meiner Meinung nach in eine falsche Richtung.

    Yoga ist viel mehr als nur das Ausführen von beeindruckenden Posen.

    Es geht um ein liebevolles Miteinander, die Liebe zu dir selbst, Achtsamkeit in Ernährung und Handeln, Meditation, Atmung. Es geht um Gemeinsamkeit, nicht um Abgrenzung. Und Instagram Bilder von Mädchen im durchsichtigen Schlüpfer die einen Spagat turnen mit der Unterschrift „Der Weg ist das Ziel“ erzeugen Abgrenzung. Da wird mir schlecht!

    I: Wie kann es deiner Meinung nach gelingen, mehr von der Yoga Philosophie zu vermitteln?

    A: In den meisten Studios liegt der Fokus auf der Praxis, doch wie gesagt ist das Ausüben der Asanas nur ein kleiner Teil der Lebensart Yoga. Ich persönlich versuche daher immer ein Thema mit in meine Stunden zu bringen und dadurch die Philosophie mit einfließen zu lassen. Die Leute zum Nachdenken anzuregen. So dass sie auch etwas mit aus der Yoga Praxis mit nach Hause und in ihren Alltag nehmen können.

    I: Wie hast du Yoga für dich entdeckt?

    A: Ich komme eigentlich aus dem Tanzen und habe früher auch professionell in der Company getanzt. Zu dieser Zeit war ich oft sehr hibbelig und unruhig, stand immer unter Strom. Das Streben nach Leistung trieb mich an, immer ging es um den Wettbewerb, die nächste Competition, darum immer besser, schneller, schlanker zu sein. In der Tänzerszene heißt es: kannst du was bist du was. Wenn du ein Battle gewonnen hast, kannte jeder deinen Namen. Aber dafür wer du bist hat sich niemand interessiert. Und nicht nur beim Sport ist das so.

    Wir definieren uns ganz stark durch Status. Du musst XY erreicht haben, damit du jemand bist.

    Kinder, Heirat, eine Festanstellung, ein bestimmtes Gehalt und ein Firmenwagen. Es gibt ein bestimmtes Bild von einem erfolgreichen Leben, das von der Gesellschaft vorgegeben wird. Social Media wirkt auch hier als Katalysator. Doch die Menschen vergessen, dass das was sie tun nicht das ist was sie sind.

    Die Menschen vergessen, dass das was sie tun nicht das ist was sie sind.

    Vom Tanzen bin ich jedenfalls irgendwann zu Mediation und Yoga gekommen. Mir hat das unheimlich geholfen, einfach nur still zu sitzen, anzukommen, zu entschleunigen. Je häufiger ich praktiziert habe, desto mehr konnte ich mich auch darauf einlassen und meinen Gedankenstrom kontrollieren. Mittlerweile ist die Meditation zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden. Auch im Alltag sollte man viel öfter einfach mal kurz die Augen schließen und tief durchatmen. Das tut auf jeden Fall besser, als aufs Smartphone zu starren.

    I: Hat sich durch Meditation und Yoga auch dein Tanz verändert?

    A: Ja auf jeden Fall. Yoga und Meditation haben mir geholfen flexibler zu werden, ruhiger, kräftiger und konzentrierter. Auch meine Balance hat sich verbessert. Das Paradoxe ist: Ich wurde zwar besser, verlor aber gleichzeitig meine Anziehung zum Tanzsport. Irgendwann wollte ich nicht mehr, habe aufgehört und bin auf Reisen gegangen.

    I: Hast du während dieser Zeit auch deine Yoga Lehrer Ausbildung gemacht?

    A: Ja genau, ich habe in Indien damit angefangen und dann, zurück in Deutschland, damit weitergemacht. Ursprünglich hatte ich gar nicht vor zu unterrichten. Ich wollte die Ausbildung machen, um für mich die Yoga Philosophie besser zu verinnerlichen, um besser zu verstehen worum es beim Yoga eigentlich geht. Von Freunden wurde ich dann immer häufiger nach Yogaklassen gefragt, „lass doch mal ein bisschen Stretching machen“, haha. So hat es angefangen und mittlerweile mache ich das hauptberuflich.

    I: Was machst du, um dich als Yoga Lehrerin weiter zu entwickeln?

    A: Als Yogi ist man ein ewiger Schüler, ganz nach dem Motto: The more you learn, the less you know. Ich versuche jeden Tag dazu zu lernen indem ich lese, Yoga praktiziere und meditiere. Zusätzlich besuche ich zweimal im Jahr eine Fortbildung. Vor kurzem habe ich mit einer Weiterbildung in Yoga Therapie angefangen. Mich interessiert dabei der Ansatz, noch näher auf Krankheitsbilder einzugehen.

    Yoga und Energiearbeit können nicht nur Verletzungen präventiv vorgebeugt werden, sondern es können auch Heilungsprozesse unterstützt werden, körperliche wie psychische.

    In Zukunft möchte ich mehr mit Frauen arbeiten. Es gibt das Wort Frauenarbeit, das klingt aber nicht so passend für mich. Ich möchte sie dabei unterstützen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und Opfern von Misshandlungen oder Gewalt dabei helfen, ihre Traumata zu überwinden. Ihnen zeigen, dass sie wertvoll sind, dass sie sich wohlfühlen können in ihrem Körper und ihnen ermöglichen, sich wieder mit sich selbst verbunden zu fühlen.

    I: Das klingt nach einer tollen Vision! Haben deine Pläne eine AcroYoga Women Community in Berlin zu gründen auch damit zu tun?

    A: Ja genau. Im November soll es einen AcroYoga Workshop geben nur für Frauen mit dem Fokus auf das Entdecken der inneren Kraft und das Stärken des Selbstvertrauens. Viele Frauen sind viel zu viel am Zweifeln und verlassen sich zu sehr darauf, dass der Mann die Base spielt – im AcroYoga wie auch im echten Leben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Frauen, die mal selbst als Base einen Mann „geflogen“ haben, ganz überrascht sind von ihrer eigenen Kraft. Das möchte ich erreichen: die „Femine Power“ aus meinen Ladies herauskitzeln!

    I: Klingt spannend! Witzigerweise erlebe ich das gerade anders herum. Mein Thema in den letzten Wochen und Monaten ist es, meine weibliche Energie mehr zuzulassen. Mich mehr fallen zu lassen. Nicht immer stark sein zu müssen.

    I: Was hat AcroYoga mit Weiblichkeit zu tun?

    Ja auf jeden Fall. Im AcroYoga wird der Base der leitende Teil zugeschrieben, die Verantwortung und Kraft, eine andere Person zu halten. Der Flieger schenkt der Base Vertrauen. Er bzw. sie lässt sich fallen, doch bleibt dabei aufmerksam und achtsam – das ist der weibliche Part. Die Harmonie ergibt sich im Zusammenspiel der Energien. Hier kann jede Frau schauen, welche Rolle sich gut anfühlt und an welcher Thematik sie für sich gerade arbeiten möchte.

    Yoga und AcroYoga können ein Weg sein, Frauen einen Weg zu sich selbst aufzuzeigen, eine Tür zu öffnen zu einem gesunden Verhältnis zu Körper, Weiblichkeit, Stärke und Sexualität.

    I: Wie bist du denn zu dem Thema Frauenarbeit gekommen?

    A: Ich selbst habe ein paar nicht so schöne Erfahrungen gemacht in meiner Jugend. Es gab ein paar Wendepunkte in meinem Leben, nach denen ich monatelang, ja jahrelang kämpfen musste, um mein Selbstvertrauen zurück zu bekommen. Dabei habe ich gelernt, dass es nichts Schlechtes ist, seine verletzliche Seite zu zeigen. Traurig zu sein und das zulassen zu können ist unheimlich mutig. Dazu kommt mein Glaube an einen höheren Sinn.

    Ich glaube, dass alles aus einem gewissen Grund passiert. Dass es etwas Positives in deinem Leben bewirken wird.

    I: Was hat dir auf deinem Weg geholfen?

    A: Wichtig ist, dass man offen über Dinge kommuniziert, sonst verkrüppelt man irgendwann seelisch. Dass man lernt nach Hilfe zu fragen, oder einfach mal sagt „kannst du mich in den Arm nehmen?“ Kein Mensch schafft alles alleine. Öffne dich deinen Nächsten, Schritt für Schritt und lerne darauf zu vertrauen, dass deine Offenheit nicht ausgenutzt wird. Deine Freunde sind nicht ohne Grund deine Freunde.

    Du bist der- bzw. diejenige, die die Tür dazu aufmachen muss, sonst kann dir keiner helfen.

    Dieses Erkennen ist der erste Schritt und zugleich auch der Wichtigste und Schwerste. Der zweite ist das Zulassen von Hilfe und der Wille aktiv an seinen Themen zu arbeiten. Alles beginnt bei dir selbst. Beziehungen und Persönlichkeitsentwicklung – all das bedeutet jeden Tag harte Arbeit.

    Wir sind eine große Gemeinschaft und müssen uns gegenseitig mehr unterstützen und human bleiben. Wegkommen von Angst, Abgrenzung und Schubladendenken. Denn deswegen gibt es sowas wie Rassenkonflikte. Und die AfD. Es wird immer Konflikte geben, aber wenn man offen kommuniziert und Fehler eingesteht, dann klappt das schon.

    I: Siehst du die Yoga Philosophie in gewisser Weise auch wie eine Religion?

    A: In vielen Religionen gibt man die Verantwortung ab und verlässt sich auf etwas Höheres. Man gibt sich der Passivität hin à la „lieber Gott, bitte mach, dass XY passiert“. Das ist für mich ein falscher Ansatz. Es beginnt bei dir. Wenn du etwas ändern willst, ändere es.

    Yoga interessiert es nicht ob du praktizierst, wie flexibel du bist, wie oft du übst oder mit wem. Oder wieviel du für deine Yoga Leggings ausgegeben hast. Du musst den Weg gehen. Es ist deine Verantwortung.

    Ich glaube an das Gesetz der Anziehung, oder auch das Prinzip der Resonanz. Das was du ausstrahlst ziehst du an. Die Kraft der Gedanken ist nicht zu unterschätzen, im positiven wie im negativen Sinne. So können sich Gedanken und Gefühle beispielsweise auch auf deinen Körper auswirken. Wenn es dir psychisch schlecht geht, wenn du einen Burn Out hast zum Beispiel, dann geht dir das an deine Nieren.

    I: Da ist sicherlich etwas dran. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass das bei mir der Fall ist mit meiner Amenorrhö.

    I: Die Psyche und Amenorrhö – wie hängt das deiner Meinung nach zusammen?

    A: Ich vermute da auch einen Zusammenhang. Du solltest dich mehr mit deiner Weiblichkeit konfrontieren. Wahrscheinlich gibt es in deinem Leben irgendein Thema, das hochgeholt werden möchte, daher die Symptome.

    Irgendetwas unterdrückt deine Weiblichkeit und erlaubt dir nicht richtig Frau zu sein.

    Das kann auch tiefer sitzen und zurück gehen bis in deine Kindheit. Vielleicht sitzt du fest in deinem inneren Kind?!

    Die Periode ist ein Reinigungsprozess des Körpers. Durch das Symptom Amenorrhö, also dem Ausbleiben deiner Tage, verhindert dein Körper diesen Prozess. Doch der Reinigungsprozess ist wichtig für eine Frau. Manche Religionen feiern die Periode regelrecht, und das solltest du auch. Beschäftige dich mehr mit dir selbst, mit deiner Weiblichkeit und deiner Sexualität.

    Amenorrhö und Yoga

    A: Yoga ist super, da das eine sehr feminine Art und Weise ist sich mit seinem Körper auseinander zu setzen. Suche dir aber einen Yogastil der dir gut gefällt und der für dich entspannt ist. Als Achtsamkeitstraining kannst du auch einfach mal deine Hände auf deinen Bauch legen, tief einatmen und deine Gedanken zu deiner Gebärmutter und deinen Eierstöcken schicken. Sprich mit ihnen. Sag ihnen, dass du dir Sorgen machst um sie und formuliere, was du dir wünscht für euch. TCM ist auch super. Und Homöopathie.

    Tabletten sollten immer die letzte Lösung sein.

    Praktiziere innere Arbeit, also Körperarbeit. Beobachte dich. Spüre in dich rein. Atme. Sprich mit dir. Nimm dir jeden Tag Zeit 10 Minuten Zeit zu meditieren. Wenn du keine Zeit hast, dann nimm dir 20. Arbeite an deiner Verbindung zu dir da unten. Sei gut zu dir selbst, habe Vertrauen in dich und den Prozess. Und hab’ Spaß!

    I: Vielen Dank für das tolle Gespräch, liebe Angélique!

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