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  • Authentizität & Selbstliebe

    #metoo – Nicht das System ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu

    Boxring

    #metoo – Ein Hashtag der das Thema Sexismus (mal wieder) durch die Presse jagt.

    Ausgelöst von der Affäre um Hollywood-Produzent Harvey Weinstein klagen Frauen weltweit (meist) ältere Männer an für anzügliche Bemerkungen oder, schlimmer noch, sexistische Handlungen bis hin zu Vergewaltigungen.

    Raus aus der Täter-Opfer-Spirale

    Es ist wichtig und richtig über das Thema zu sprechen. Endlich müssen sich Frauen nicht mehr dafür schämen, was ihnen passiert ist und können offen ihre Geschichten teilen. Indem sie ihre Erfahrungen aussprechen (austweeten?), haben die Betroffenen die Chance, sich aus der Täter-Opfer-Spirale lösen – was für eine Befreiung. Und was für ein großer Verdienst der Frauenbewegung!

    Ich bewundere den Mut derjenigen, die in den letzten Wochen ihre Hand gehoben haben. Und es berührt mich zu sehen, wie viele tolle und starke Frauen da draußen sind, die sich gegenseitig Mut zusprechen, die an ihren eigenen Missbrauchsgeschichten gewachsen sind, die sich in Solidarität und Mitgefühl austauschen.

    Der Mann und das System

    Doch von Anfang an hatte der Hashtag #metoo auch einen fahlen Beigeschmack für mich. Es lag am Ton der Debatte, die oftmals auf keine konstruktive Diskussion ausgelegt zu sein schien, sondern vielmehr auf ein einseitiges herausschleudern von kalter Wut.

    In ihrem Artikel für DIE ZEIT berichtet Antonia Baum über Gespräche mit anderen Journalistinnen, die ihr „[…] erzählten von Anzüglichkeiten beim Mittagessen, von anzüglichen SMS, von Händen auf Po und Schritt auf Betriebspartys und von machtvollen Angestellten, die sich besonders gern um Praktikantinnen kümmern.“ Namen werden keine genannt. Denn: Namen seien austauschbar in einer Debatte, worum es darum ginge, die Dynamik des Systems zu verstehen.

    Ich persönlich finde das schwierig. Denn durch die Anonymität, dürfen sich ja alle Männer, die eine höhere Position in der Medienbranche innehaben, angegriffen fühlen.

    Der Mann unter Generalverdacht. Abstrakt und gesichtslos.

    Und ja, natürlich geht es um „das System“. Doch wer ist eigentlich das System? Besteht das System nicht schließlich aus einzelnen Individuen? Jedes Unternehmen, jeder Verlag, jede Organisation –  all das sind doch schließlich nur Hüllen, Rechtsformen, in denen Menschen zusammengekommen und zusammenarbeiten. Wäre „das System“ ein großes, homogenes Etwas, wären wohl nicht auch alle Stories zum Hashtag #metoo so individuell verschieden.

    Auch „die Waffen einer Frau“ haben einen Rückstoß

    Antonia Baums #metoo Geschichte geht so: Es gab da einen Mann, in dessen Abteilung sie gerne arbeiten wollte. Dieser Mann fing dann an, ihr auch außerhalb der Geschäftszeiten Nachrichten zu schreiben. Schließlich lud er sie zu einem Vorstellungsgespräch bei einem Abendessen ein, das sich ihr zufolge als flirty dinner entpuppte. „Noch ein Wein für dich, deine Hand auf meiner.“

    Ok. Doch wo ist da die Gegendarstellung? Wie wär’s mal mit ein bisschen mehr Rechtfertigung? Liebe Männer, zeigt doch mal eure dicken Eier wenn’s drauf ankommt! Excuse my French;)

    Hier wäre eine Szene wie in der Serie The Affair interessant – bei der die Geschichte einer Sommer-Affäre aus den individuellen Perspektiven der beiden Protagonisten, Mann und Frau, erzählt wird.

    Denn die gleiche Geschichte könnte aus Sicht des Mannes auch so erzählt werden: Eine junge Frau möchte einen Job in meiner Abteilung; ich arbeite rund um die Uhr, Feierabend kenne ich quasi nicht. Da ich super busy bin, schaffe ich es immer nur zwischen Tür und Angel auf Nachrichten zu antworten, doch das scheint nicht zu stören, denn sie antwortet mir schließlich immer prompt. Schließlich gebe ich ihr die Chance für ein Treffen, denn sie scheint hochmotiviert zu sein. Ich schlage ein Abendessen vor, weil – warum auch nicht, mit anderen Job-Interessenten mache ich das ja auch. Schließlich wird aber nichts aus der Sache.

    Um noch einmal Frau Baum zu besagtem Abend zu zitieren: „Ich versuchte nicht zu verschlossen zu wirken, sondern offen und superlocker, denn ich wollte den Job.“

    Diese Doppelmoral ist schon ein bisschen witzig, oder?

    Was soll denn der Mann denken über die Signale die er empfängt? Und woher hat er überhaupt ihre Handynummer?

    Weiter heißt es, dass Frauen keine andere Wahl hätten, als sich durch ihr Aussehen Vorteile zu verschaffen und „[…] die bescheidenen Waffen [einzusetzen] die ihnen das System erlaubt“.

    Ist das so? Haben wir nicht alle die Wahl?

    Die Frauenbefreiung weiter gedacht

    Viele von uns Frauen tragen Schmerz in sich, sowohl individuellen als auch den kollektiven Schmerz, die die Jahrhunderte der Unterdrückung in uns hinterlassen haben. Bis in die jüngste Vergangenheit lebten unsere Vorfahrinnen in einer von Männern dominierten Welt, in der Männer über die Frau bestimmten wie über ein Objekt. Sie nahmen sich was sie wollten, wann sie wollten.

    Diese rücksichtslose männliche Dominanz hat in uns Frauen eine unbewusste Wunde und ein kollektives Opferbewusstsein hinterlassen. Und im Mann von heute ein unbewusstes Schuldgefühl. Dies kann auch der Grund dafür sein, warum heutzutage in vielen Beziehungen die Frau „die Hosen an hat“. Sind vielleicht die Männer, die in ihren eigenen Beziehungen dominiert werden, diejenigen, die sich an Praktikantinnen und Volontärinnen vergreifen, um dabei mal der „Stärkere“ zu sein?

    Mit der #metoo Debatte und auch schon den vorhergegangenen Diskussionen, u.a. rund um #aufschrei, haben (wir) Frauen nun den Spieß umgedreht. #metoo hat Frauen ein Mittel gegeben, den Mann als Täter hinzustellen und so Macht auszuüben, was (kurzfristig) zu einem Gefühl von Genugtuung und Überlegenheit führt. Endlich ein Weg, um die mächtigen Männer zu ärgern und an ihrem Stuhlbein zu sägen.

    “Everything can be taken from a man but one thing: the last of the human freedoms—to choose one’s attitude in any given set of circumstances, to choose one’s own way.” 
    Viktor E. Frankl

    Wir befinden uns Mitten auf dem Weg der Frauenbefreiung, doch sind wir, wie die #metoo Debatte zeigt, noch nicht an seinem Ende angekommen.

    Wir haben unterwegs Halt gemacht bei der Anklage an den Mann. Und im Beklagen unserer Opferrolle.

    Wir müssen weiter gehen. Denn eine wirkliche Befreiung und Loslösung vom Schmerz kann nur durch Vergebung passieren. Und durch Wertschätzung, von uns selbst und von anderen. Denn ziehen und behalten wir den Schuh des Opfers an, bleiben wir auch Opfer.

    Was wäre wenn?

    Von meinem alten Chef Ben habe ich eine Kreativitätstechnik gelernt, what if…? Dabei wird das Ziel eines Projekts beispielsweise, als what if…? Frage formuliert, um Kreativität und Lösungsorientiertheit zu unterstützen. Also:

    • Was wäre, wenn wir mit starken Werten und einem klaren Standing vorangingen, wenn wir laut Nein sagten, Grabscher öffentlich bloßstellten und mutig deutliche Grenzen aufzeigten?
    • Was wäre, wenn wir Lunch-dates planten statt Abendessen bei Kerzenschein, auf sexistische Kommentare smart conterten, Missbrauchsfälle anzeigten, und nicht in der Anonymität verjähren ließen?
    • Was wäre, wenn wir mehr sprächen statt zu tweeten?
    • Was wäre, wenn wir aufhörten diesen Krieg zu führen und uns die Hand gäben?
    • Was wäre, wenn wir uns gegenseitig förderten aufgrund unserer Fähigkeiten und Sympathien?
    • Was wäre, wenn wir jeglichen Sexismus hinter uns ließen, und mit neuem Selbstbewusstsein den ersten Schritt gingen in Richtung eines lebens- und liebenswerten Miteinanders?

    Men of quality respect women’s equality.

    Der Rest: f*** off!

    Final note

    Sexuelle Angriffe sind Verbrechen und gehören angezeigt! In minder schweren Fällen kann ein direktes Gespräch helfen, entweder direkt mit dem Täter, oder mit seinem eigenen Vorgesetzten, Kollegen oder dem Betriebsrat. Und ansonsten: get over it. Sprich darüber, vielleicht kann auch eine Therapie helfen. Aber geh weiter. Nimm dir die Freiheit, deine Einstellung zu wählen und verharre nicht in der Opferrolle. Du bist mehr wert!

    Deine Insa

     

    Weiter lesen:
    Das Weiche und das Harte – Gedanken zum Thema Weiblichkeit

    Quellen:
    Antonia Baum (2017): „Nicht die anzüglichen Bemerkungen sind das Problem, sondern das System aus dem sie hervorgehen“, in: DIE ZEIT N°45, 02.11.2017, S. 64
    https://cicero.de/metoo-sexismus-maenner-feminismus
    http://cicero.de/innenpolitik/metoo-debatte-sexismus-weinstein-gesellschaft
    http://www.spiegel.de/panorama/justiz/metoo-von-weinstein-bis-spacey-diese-promis-sollen-taeter-sein-a-1176139.html
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